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Zum Gedenken an Rosa und Karl

Am 15. Januar, dem Todestag von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht gedachten wir ihrer gemeinsam am Spartakus-Denkmal. Hier dokumentiert die Rede unseres Kreisvorsitzenden Roland Gehrmann:

 

Liebe Genossinnen und Genossen,
ich freue mich sehr, euch alle hier und heute zu unserem Potsdamer Gedenken an die Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg begrüßen zu können.
Genau heute, am 15. Januar 1919, vor genau 103 Jahren wurden die beiden Kommunist:innen ermordet. Als Hochverräter, im Auftrag der SPD von faschistischen Freikorps exekutiert.
Diese Tat war eine Abrechnung mit den Spitzen der revolutionären Bewegung zur Gründung einer sozialistischen Räterepublik nach dem ersten Weltkrieg. Der rechtswidrige Mord war die Ansage der bürgerlich kapitalistischen Parteien, niemals eine Alternative zum deutschen Nationalstaat zuzulassen und ihren Staat nicht dem verhassten Lumpenpack und den Vaterlandsverrätern zu überlassen. Ihre Ermordung war eine unmissverständliche Warnung an die Gewerkschaften, an die kommunistischen, sozialistischen und unabhängigen sozialdemokratischen Bewegungen. Sie raubten ihnen die Besten genau zu jener Zeit, in welcher der Sozialismus in Deutschland aus eigener Kraft heraus möglich gewesen wäre. Es wäre ein anderer Sozialismus gewesen, ein anderer als er nach 1945, in einem mit der Schuld des industriellen Massenmordes aufgeladenen und durch den Krieg ruinierten Deutschlands errichtet wurde.
1919 nahmen sie Rosa und Karl das Leben. Die deutsche Arbeiter:innenbewegung hätte beide noch länger gebraucht. Hätten Rosa und Karl in den 1920er Jahren weiterwirken können, wer weiß, ob der deutsche Faschismus je die Macht übernommen hätte. Doch Spekulation nützt uns nichts im alltäglichen Kampf. Was uns bleibt sind ihre Schriften, ihre Reden und die Erinnerung an ihr Handeln.
In dieser Tradition streitet DIE LINKE, streiten aber auch andere Menschen und Gruppierungen noch heute für eine fortschrittlichere und friedlichere, für eine sozialistische Zukunft unserer Gesellschaft. Für eine Zukunft, in der die Menschen und nicht der Profit im Mittelpunkt stehen.
Für die Deutsche LINKE war das Jahr 2021 ein schwieriges Jahr. Das Ergebnis der Bundestagswahl bedeutet eine erhebliche Schwächung unserer politischen Position. Nicht wenige unter uns stellen zu Recht die Frage nach der Zukunftsperspektive der LINKEN. Deswegen will ich heute mit einem Zitat von Rosa Luxemburg einsteigen, dass wir uns gerade jetzt in Erinnerung rufen sollten. In einer Rede vom 1. Dezember 1911 setzte sich Rosa mit der Bedeutung von Wahlen für die Sozialdemokratie auseinander. Sie sagte:
„Nicht jede Reichstagswahl hat dieselbe Bedeutung wie die andre, und alle haben für uns eine grundsätzlich andre Bedeutung als für alle bürgerlichen Parteien. Für die bürgerlichen Parteien haben die Wahlen nur und ausschließlich die Bedeutung der Jagd nach Mandaten. Für uns stehen die Mandate an allerletzter Stelle. Wir gehen in den Kampf, nicht um möglichst viele Mandate, sondern weil uns der Wahlkampf Gelegenheit bietet, die Massen aufzuklären und ein gewaltiges Stück vorwärtszutreiben auf der Bahn zum Sturz der kapitalistischen Gesellschaft. Die Wahl ist nicht vom eng parlamentarischen Standpunkte, sondern vom Standpunkte der großen internationalen Schicksale und Aufgaben zu betreiben. Wenn der Kampf auch schwer ist, wenn uns auch Arbeit in Hülle und Fülle erwartet, so können wir mit einem Blick auf das Leben, den Boden, auf dem wir stehen, erklären: wir gehen in diesen Kampf mit Freuden, und es ist eine Freude zu leben.“
So viel Wertvolles steckt in diesen wenigen Sätzen! Der Kampf um Mandate, um Präsenz in den Parlamenten ist bestenfalls eine Dimension des politischen Kampfes. Zu oft ist es die Dimension, auf die wir zu vorderst fokussieren. Wichtiger – und nachhaltiger ist es aber, dafür zu streiten, das Bewusstsein der Menschen zu verändern.
Eine Wahlniederlage ist eben genau nur das – eine Niederlage bei einer Wahl. Sie bedeutet vielleicht einen Rückschlag, nicht aber das Ende des Kampfes um eine gerechte Gesellschaft. Gerade jetzt ist es wichtig, dass wir uns das klar machen!

Die neue Bundesregierung wird mit Sicherheit nicht für ein sozialeres oder friedlicheres Land sorgen! Sie stellt weiterhin den Profit des Einzelnen in den Mittelpunkt. Sie stellt keine Eigentumsverhältnisse in Frage, sie wird keine Anstrengungen unternehmen, die gesellschaftliche Kontrolle über grundlegende Ressourcen zurückzugewinnen und sie unternimmt wenig gegen die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich.
Eindringlich führt uns auch die Pandemie seit beinahe zwei Jahren täglich das eklatante Versagen des kapitalistischen Systems vor Augen. Zu viele haben in den vergangenen Monaten erfahren müssen, wie nah am Abgrund man in einer Gesellschaft lebt, die den Wert eines Menschen zuerst an seiner wirtschaftlichen Produktivität misst. Das traf gleichermaßen Selbstständige und Beschäftigte, die ohne soziale Absicherung Wochen und Monate nicht arbeiten konnten, wie jene, die mit ihrer Arbeit an vorderster Front, egal ob auf der Intensivstation oder im Pflegeheim, in den Kitas und Schulen und an den Supermarktkassen dafür sorgen, dass diese Gesellschaft weiter funktioniert – und die statt echter Anerkennung bisher vor allem symbolische Gesten erfahren haben.
Die dringend notwendigen Schlussfolgerungen liegen in vielen Bereichen klar auf der Hand: „Systemrelevanz“ muss endlich mehr als eine Worthülse werden. Der gesellschaftliche Wert sozialer Arbeit, egal ob in Pflege, Erziehung oder Bildung muss endlich anerkannt werden. Und diese Anerkennung muss sich ausdrücken in einer substanziellen Verbesserung von Bezahlung und Arbeitsbedingungen. Die Bereiche und Ressourcen, die für die Daseinsvorsorge elementar sind: das Gesundheitssystem, die Pflege, Wohnraum, Energie- und Wasserversorgung, Bildung und Erziehung, Telekommunikation und auch Soziale Medien müssen dem Markt entzogen werden und gehören unter öffentliche Kontrolle. Nur so können wir gleiche Lebenschancen für alle Menschen und gesellschaftliche Handlungsfähigkeit auch in Krisen wie der aktuellen sichern. Solange es aber möglich ist, dass ein bundesweit tätiger Pflegekonzern ungestraft versuchen kann, mitten im Corona-Winter über 100 Senior:innen der Josephinen-Wohnanlage auf die Straße zu setzen, wie es die Marseille Kliniken hier bei uns in Potsdam tun, solange läuft etwas gewaltig schief in diesem Staat. Gemeinsam mit vielen anderen sammeln wir Unterschriften und haben Beratung für die Bewohner:innen organisiert. Am 23. Dezember haben wir zusammen mit unseren Hamburger Genoss:innen vor der Firmenzentrale in Hamburg für die Enteignung des Konzerns demonstriert. Das ist Aufgabe der LINKEN!
DIE LINKE. muss genau mit den Menschen zusammen streiten, die nicht in eine allumfassende Verwertungslogik passen, die an den Rand gedrängt oder ganz ignoriert werden. Parlamentsmandate können dabei helfen – aber sie sind längst nicht das einzige und auch nicht immer das wirksamste Mittel im politischen Kampf. Und sie dürfen niemals zum Selbstzweck werden!
Aber unsere Aufgabe ist ungleich größer – auch das zeigen uns die aktuellen Entwicklungen mehr als deutlich. Wir erleben eine gesellschaftliche Spaltung in einer völlig neuen Dimension, vor der wir ehrlicherweise mit einer gewissen Ratlosigkeit stehen: ob ihrer Irrationalität, ob ihrer Wissenschaftsfeindlichkeit, ob ihrer Heftigkeit und des eklatanten Mangels an Menschlichkeit und Empathie, der in den Demonstrationen und Corona-Protesten zum Ausdruck kommt. Vielerorts werden diese Proteste von Faschisten gesteuert und instrumentalisiert. Aber es sind die scheinbar normalen Leute, die ihnen hinterherrennen und Maske runter brüllen. Den allermeisten dürfte bewusst sein, mit wem sie sich gemein machen. Und das schlimme ist, offenbar ist es ihnen egal.
Hier kommt zum Ausdruck, was Ergebnis jahrzehntelang erlernter und erlebter Ellbogen-Gesellschaft ist

Die Erfahrung, sich nur auf sich selbst verlassen zu können, die vermittelte Philosophie des „Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied“ führt zu einer Radikalisierung des Egoismus, einer Fokussierung auf die eigenen Interessen, die gesellschaftlichen Ausgleich und ein Miteinander weitgehend ausblendet. Das ist die eigentliche Gefahr und das, was uns größte Sorgen bereiten sollte. Denn wenn sich diese Entwicklung fortsetzt, wird sie nach der Pandemie in andere Themen ihre Fortführung finden.
Dem müssen wir als LINKE. entschieden und mit aller Kraft entgegentreten. Und hier schließt sich der Kreis, zur eingangs zitierten Rede von Rosa Luxemburg: Denn worauf basieren die aktuellen Entwicklungen vor allem und worauf setzen jene, die sie steuern?
Auf Angst – vermeintliche und tatsächliche. Angst vor Impfungen, vor Diktatur, Freiheitsverlust, Überwachung. Leider ist es im Umgang damit nicht sehr entscheidend, ob diese Ängste real oder eingebildet sind – sie sind starke Emotionen. Ähnlich hat es auch 2015/16 funktioniert, als es um Geflüchtete ging. Mit nüchternen Argumenten ist starken Emotionen oft nur schwer beizukommen. Erst recht, wenn Angst erneut zum zentralen Werkzeug der politischen Rechten geworden ist.
Doch wie sagte Rosa? „Wir gehen in diesen Kampf mit Freuden, und es ist eine Freude zu leben.“
Unsere Aufgabe als LINKE ist es, statt apokalyptischer Szenarien eine mögliche Gesellschaft aufzuzeigen, die allen Menschen Perspektiven und Chancen bietet. Denn mit Hoffnung erschaffen wir eine stärkere Emotion, als es Angst je sein kann. Hierfür müssen wir Verbündete finden und gemeinsam kämpfen. Mit gesellschaftlichen Bewegungen und Bündnissen wie Unteilbar oder Fridays for Future, mit Gewerkschaften und Sozialverbänden und allen anderen, die für eine Gesellschaft eintreten, die den Mensch in den Mittelpunkt ihres Handelns stellt – das ist eine echte Zukunftsperspektive für DIE LINKE.
Diesen Kampf zu führen ist der beste Weg, das Andenken von Karl und Rosa zu ehren und in ihrem Sinne zu handeln!